Zunächst zu der Frage, ob Feyerabend Popper “trivialisiert” oder “falsch verstanden” hat. Ich halte das für unwahrscheinlich: Feyerabend war lange Zeit Poppers Schüler, er hat mit Popper persönlich zusammengearbeitet und war der Übersetzer von Poppers Schriften, u.a. übersetzte er “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde” aus dem Englischen ins Deutsche. Feyerabend hat seinen eigenen Standpunkt in intensiver Auseinandersetzung mit Poppers Wissenschaftstheorie entwickelt.
Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass Feyerabend gezeigt hätte, dass Poppers Überlegungen “für die Wissenschaft unbrauchbar” sind. Sein Abrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit hat in der Entwicklung der Naturwissenschaft des 20. Jhd. enormes geleistet, und zwar in normativer Hinsicht. Unter Naturwissenschaftlern ist inzwischen weitgehend akzeptiert, dass wissenschaftliche Theorien letztendlich Voraussagen für Experimente machen müssen, und dass das Nichteintreffen dieser Vorraussagen eine Theorie in ernste Schwierigkeiten bringt. Sehr schön kann man das in Lee Smolins Buch “The trouble with physics” nachlesen, in dem der Physiker die Stringtheorie genau aus diesem Grund angreift.
Popper formuliert seinen normativen Anspruch allerdings zu stark. (@ilja: Sie müssten dann schon sagen, wo Popper diesen Anspruch relativiert. Wenn es so viele Zitatstellen gibt, geben Sie mir doch bitte eine oder zwei) Ein Experiment kann eine Theorie nicht wirklich widerlegen – es gibt immer Gründe, empirische Ergebnisse, die im Widerspruch zur Theorie stehen, zu interpretieren, zu erklären, zu deuten.
Das ist der Grund, warum sich Feyerabend letztlich gegen Popper gewandt hat. Die wirkliche Wissenschaft ist nicht so, wie Popper es fordert. Um Wissenschaft und ihren Fortschritt zu verstehen, muss man über Popper hinausgehen. Feyerabend hat das versucht, dabei ist ihm allerdings das Abgrenzungskriterium verloren gegangen.
Mein aktueller Stand der Überlegung ist: Als Norm ist Poppers Falsifikationsprinzip völlig in Ordnung. Es ist, wie mit der Straßenverkehrsordnung: Sie ist die Basis dafür, dass wir alle ans Ziel kommen. Wenn man aber verstehen will, warum mancher schneller ist als ein anderer dann muss man untersuchen, warum einige hin und wieder erfolgreich sind, auch wenn sie gegen die Norm verstoßen.